Zwei Seiten der Geschichte

Erinnern für eine gemeinsame Zukunft

Ausgangspunkt des multimedialen Zeitzeugenprojektes „Zwei Seiten der Geschichte – Erinnern für eine gemeinsame Zukunft“ ist die im Jahr 2002 im Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschienene gleichnamige Doppelbiographie.

Im Rahmen des Projektes entwickelte ein ehrenamtliches Team aus Historikern, Filmautor/innen, Pädagogen, Archivar/innen und historisch interessierten Laien ein multimediales Drehbuch, das u. a. jeweils mehr als 120 Textausschnitte, Videos, Fotos und Dokumente enthält.

Prof. Wilma und Georg Iggers sowie mehr als 20 weitere Zeitzeugen haben sich dafür dankenswerterweise zu Interviews an Originalschauplätzen in Deutschland, Tschechien, Kanada und den USA zur Verfügung gestellt.

Dieses didaktisch aufbereitete Internetangebot ist das Ergebnis einer jahrelangen ehrenamtlichen Tätigkeit. Eine ständige Überarbeitung und Ergänzung ist geplant. Für Anregungen ist der gemeinnützige Verein Brücken Bauen e.V. dankbar.

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Wilma und Georg Iggers, "Zwei Seiten der Geschichte. Lebensbericht aus unruhigen Zeiten", Vandenhoeck & Ruprecht (1. September 2002), ISBN-10: 352536265X, ISBN-13: 978-3525362655
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Wilma Abeles

Kindheit und Emigration von Böhmen nach Kanada

Wilma Iggers wird als erste Tochter des jüdischen Gutsbesitzers Abeles im Jahre 1921 in einem kleinen Dorf in Böhmen in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Im Jahre 1933 wechselt sie von der deutschen Schule in Bischofteinitz, dem heutigen Horsovsky Tyn, an das tschechische Gymnasium in Domazlice. Wilma Abeles flüchtet mit einer großen Gruppe von Verwandten kurz nach dem Münchener Abkommen und wenige Tage vor dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Böhmen in das Innere der Tschechoslowakei. Von da emigrieren sie nach Hamilton in Kanada. Wilma Abeles studiert an einem kleinen College in der Provinz Ontario die Fächer Germanistik und Romanistik.

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Georg Iggers

Kindheit und Emigration von Hamburg in die USA

Georg Iggersheimer wird als Sohn eines jüdischen Kaufmanns im Jahre 1926 in Hamburg geboren. Er wird dort im April 1933, kurz nach dem Beginn der Hitlerdiktatur, in der Knabenschule Knauerstraße eingeschult. Sehr früh entwickelt er ein starkes Interesse an der jüdischen Kultur und Religion. Weil es zu Konflikten mit den Eltern kommt, verbringt er 1937/1938 ein knappes Jahr in einem jüdischen Kinderheim in Esslingen. Im Oktober 1938, wenige Wochen vor der Reichspogromnacht, emigriert die Familie Iggersheimer über England nach Richmond in die USA. Dort nimmt Georg, wie seine Eltern und seine Schwester, den Nachnamen Iggers an und besucht zunächst die Highschool. Aber schon als Fünfzehnjähriger geht er in die dortige Universität. Er ist konfrontiert mit der Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung und bildet mit schwarzen Kommilitonen eine Studentengruppe, die sich gegen die Rassentrennung ausspricht.

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Zivilcourage

Aktiv in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung

Wilma Abeles und Georg Iggers lernen sich an der Universität Chicago nach dem zweiten Weltkrieg kennen, wo sie Germanistik bzw. Geschichte studieren und später dann promovieren. Im Jahre 1949 heiraten sie und bekommen in den nächsten Jahren drei Kinder: Jeremy, Daniel und Jonathan. Ein Jahr später entscheiden sie sich für eine Dozentenstelle an einem kleinen schwarzen College in Little Rock im Staat Arkansas. In den nächsten Jahren führen sie wissenschaftliche Untersuchungen über die Situation an schwarzen Highschools durch, die vor Gericht als wichtige Begründung für die Einschulung der ersten schwarzen Schülerin an einer weißen Highschool im Jahr 1957 vorgebracht werden. Nach weiteren Jahren des Engagements als einige der wenigen weißen in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung kehren sie 1961 mit ihren Kindern zum ersten Mal für eine längere Zeit nach Deutschland zurück, wo sie in Göttingen wissenschaftlich arbeiten. Ab 1965 finden Wilma und Georg Iggers Professorenstellen in Germanistik und Geschichte in Buffalo im Staat New York. Ein Jahr später kehrt Wilma Iggers in die Tschechoslowakei zurück, in ihren Heimatort, das heutige Horsovsky Tyn, und sucht nach den Resten der eigenen Kindheit. Sie knüpft Kontakte zu vielen Menschen, die am Schicksal der jüdischen Minderheit interessiert sind.

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Brücken Bauen

Kontakte in Europa und aller Welt

Als international anerkannte Wissenschaftler schlagen sie ab den 70er Jahren Brücken, nicht nur in die Bundesrepublik und die damalige DDR, sondern auch nach Asien. So gehören sie zu den ersten US-Amerikanern die 1984 einen längeren Auslandsaufenthalt in der Volksrepublik China verbringen.

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Rückkehr

nach Deutschland und in die Tschechische Republik

Nach der Wiedervereinigung nehmen sie die Deutsche Staatsbürgerschaft an und verbringen jeweils eine Jahreshälfte in Göttingen und eine in Buffalo. Wilma und Georg Iggers engagieren sich als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler in Deutschland, in Tschechien, in Europa und der ganzen Welt - und werden dafür anerkannt. Bei zahlreichen Vorträgen und Gesprächen mit Jugendlichen, vor allem in Deutschland, aber auch in Tschechien und in den USA, berichten sie von ihrer Kindheit und Jugendzeit sowie von der Flucht aus Nazi-Deutschland bzw. vor der einmarschierenden Hitler-Wehrmacht. Als Zeitzeugen machen sie für die heutigen Generationen die Geschichte des Holocaust erlebbar. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Ihr außergewöhnliches Leben spiegelt ein Jahrhundert wieder, in dem versucht wurde, aus ideologischem Wahn eine Kultur zu zerstören. Im hohen Alter erfahren sie die Wertschätzung für ihr Lebenswerk als Brückenbauer zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Ost und West, zwischen Deutschen und Tschechen, zwischen Juden und Christen. Wilma Iggers erhält aus den Händen des tschechischen Außenministers im Jahr 2004 in Prag den Masaryk-Preis.

Über das Projekt

ein nachhaltiger Beitrag zur interkulturellen Verständigung

Der Verein Brücken Bauen e. V. hat sich mit Hilfe dieses Oral History Projektes über einen Teilbereich des Holocaust zum Ziel gesetzt, einen nachhaltigen Beitrag zur interkulturellen Verständigung, gegen Rassismus und für ein friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Religion und ethnischer Abstammung zu leisten. Die Webseite, die auch teilweise Informationen in englischer Sprache beinhaltet, sieht sich als einen Beitrag gegen das Vergessen der Schrecken der NS-Diktatur und der Flucht von Hunderttausenden Jüdinnen und Juden aus Deutschland bzw. aus den von Deutschland besetzten Ländern Europas. Gleichzeitig ist beabsichtigt, aufbauend auf der Lebensgeschichte von Wilma und Georg Iggers, Menschen in unserer Gegenwart angesichts von rassistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft zur Zivilcourage und zum demokratischen Handeln zu ermutigen. Im Einzelnen richtet sich das didaktisch aufbereitete Projekt an:

  • Schüler/innen und Lehrer/innen in den Fächern Geschichte, Politik, Religion und Erziehungswissenschaften
  • Student/innen und Hochschullehrer/innen
  • Menschen, die sich für Geschichte, Politik und jüdische Kultur interessieren.

Nachruf zu Wilma Iggers

Prof. Dr. Wilma Iggers, geb. Abeles

geb. 23.03.1921 Mirschikau/Mirkov - Tschecheslowakei
gest. 24.02.2025 Amherst, N.Y. - USA

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In tiefer Trauer und großer Dankbarkeit nehmen wir Abschied von Prof. Dr. Wilma Iggers, geb. Abeles, die in ihrem 104. Lebensjahr von uns gegangen ist.

Wilma Iggers war eine weit über die USA, Tschechien und Deutschland hinaus bekannte Germanistin und Kulturhistorikerin, die 1938 mit ihrer jüdischen Familie vor dem Nazi-Terror nach Kanada geflüchtet war und sich zeitlebens für eine Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen, Kulturen und Weltanschauungen einsetzte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Historiker Georg Iggers, war sie in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts in den USA aktiv in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung (Little Rock Nine) sowie später in der Friedensbewegung.

Seit Mitte der Sechzigerjahre lehrten Wilma und Georg Iggers in Buffalo, N.Y., verbrachten zunehmend aber auch Forschungszeit in Göttingen. Sie unterhielten dort später einen festen Wohnsitz und erwarben Freunde in- und außerhalb der Universität.

Wilma Iggers war eine anerkannte Kennerin des böhmischen Judentums. 2004 erhielt sie für ihre zahlreichen Veröffentlichungen den Masaryk-Preis in Prag. Wilma wird uns nicht nur als Brückenbauerin zwischen Ost und West sowie zwischen Christen und Juden in sehr guter Erinnerung bleiben, sondern auch als Mutter dreier Kinder, die sich Zeit ihres Lebens immer für andere Menschen eingesetzt hat.

Wir sind sehr dankbar, Wilma Iggers kennengelernt zu haben und werden ihr als Ehrenmitglied unseres Vereins „Brücken Bauen e. V.“ (www.zweiseitendergeschichte.de) ein ehrendes Andenken bewahren.

Der Vorstand:
Dr. Heinrich Pingel, Dr. Hajo Billmann, Birgit Rausch und Jannis Schröder

Als Freunde, Kollegen und Weggefährten von Prof. Wilma Iggers schließen wir uns an:

Prof. i.R. Dr. Klaus J. Bade und Dr. Susanne C. Meyer, Berlin
Prof. Dr. Katerina Capkova, Prag
Prof. Dr. Mario Keßler, Berlin
Prof. i.R. Dr. Jürgen und Dr. Urte Kocka, Berlin
Dr. Rita Kuczynski, Berlin
Prof. Dr. Monika Richarz, Berlin
Prof. Dr. Hanns und Sabine Seidler, Darmstadt
Peter Th. Walther, PhD, Berlin

Herford, Berlin, Darmstadt, Prag, 6. März 2025

Nachruf zu Georg Iggers

Georg G. Iggers

7. Dezember 1926 - 26. November 2017

Wir trauern um Prof. Dr. Georg G. Iggers, Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse. Er ist am Morgen des 26. Novembers in Amherst, N.Y. verstorben.

Der Verein Brücken Bauen e. V. - Verein zur Förderung von interkutureller Verständigung (Herford) spricht Frau Prof. Dr. Wilma Iggers und ihrer Familie das herzlichste Beleid aus. Wir werden unserem Ehrenmitglied Georg Iggers ein ehrendes Andenken bewahren.

Diese Webseite ist dem beispielhaften Leben von Georg und Wilma Iggers, ihrem Einsatz fur ein humanes Miteinander zwischen Menschen unterschiedlicher Religion, Hautfarbe, politischer Anschauung und kultureller Prägung gewidmet.

Ihr Engagement als wissenschaftliche und menschliche Brückenbauer zwischen Ost und West in Europa und weltweit im 20. und 21. Jahrhundert werden wir nicht in Vergessenheit geraten lassen.

Vorstand des Vereins Brücken Bauen e. V.

Herford, im Dezember 2017

Annual Letters

Die Annual Letters (Jahresbriefe) von Wilma und Georg Iggers

Georg und Wilma Iggers haben ab dem Jahr 1960 jeweils zum Ende des Kalenderjahres an Mitglieder der eigenen Familie, Freund/innen und wissenschaftliche Kolleg/innen Rundbriefe verschickt. Diese sind in der englischen Sprache verfasst. In diesen Briefen haben sie das vergangene Jahr noch einmal Revue passieren lassen und berichten über die Familie, berufliche Aktivitäten und Reisen, die sie durchgeführt haben. Weiterhin kommentieren sie die jeweilige aktuelle Entwicklung und Ereignisse auf nationaler und internationaler Ebene. Im Unterkapitel Jahresbriefe / Annual Letters werden die uns bisher vorliegenden Jahresbriefe dokumentiert.