Wilma Iggers: Als Juden in Bischofteinitz

Wir alle - bis auf Onkel Alois und Tante Hedda, die im Saazer Hopfengebiet wohnten - gehörten zur Bischofteinitzer jüdischen Gemeinde, die ungefähr zwölf Familien zählte. Außer zum jüdischen Neujahr und zum Versöhnungstag ging man nur zur Jahrzeit - am Todestag eines nahen Verwandten - in den »Tempel«. Eigentlich war es nur eine Betstube im ersten Stock eines Hauses in der Bräuhausgasse, in dem unten Familie Klauber wohnte, die einzige wirklich arme jüdische Familie, und Herr Zwetschkenbaum, unser Rabbiner.

Mehr als zur jüdischen Gemeinde gehörten wir zum deutschsprachigen Bürgertum von Teinitz. Fast alle Tschechen waren Beamte, verhältnismäßig neu zugezogen, die ihre eigenen Kreise bildeten. Aber nicht alle Beamte waren Tschechen. Es gab auch deutsche, angefangen beim Bezirkshauptmann, doch dieses Miteinander führte bis weit in die dreißiger Jahre hinein nicht zu Problemen zwischen den Nationalitäten. Mein Vater traf sich manchmal mit Bekannten im Wirtshaus, meine Mutter mit »Damen« beim Zuckerbäcker Jung, und alle, auch die Onkel und Tanten, die in Hlas und Blisowa wohnten, gingen am Fasching zum Maskenball und zum Feuerwehrball.

Ich habe in Teinitz eigentlich wenig Antisemitismus von den Deutschen gespürt. Wenn uns etwas vom Gros der Bevölkerung trennte, dann war es unser bürgerlicher Lebensstandard, aber der war bei den deutschen Ärzten, Beamten und Geschäftsleuten ähnlich. Vielleicht haben wir etwas besser gegessen, erstens als Landwirte und wohl auch weil sich die Abeles viel darauf einbildeten, etwas vom guten Essen zu verstehen.

Antisemitismus erlebte ich bei den Jungen, die in die deutsche »Knabenschule« gingen. Sie grenzte an unser Anwesen. Auf meinem Schulweg traf ich jeden Tag dutzende der Schüler, und ein paar Mal malträtierten sie mich wirklich. Als ich noch in der ersten Klasse war, schnitt mir einer der Jungen mit einem Taschenmesser in die Oberlippe, so dass sie blutete. Meine Mutter beschwerte sich beim Lehrer, aber statt sich den Schüler vorzunehmen, sagte der nur: »Wissen Sie, Ihre Tochter ist auch kein Täubchen.«

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 17 ff - Wilma Iggers

Katalog-Nr.: T0004