Schule in Kanada: Macbeth lesen und ein anderer Geschichtsunterricht

Am dritten Jänner 1939 kam ich in die Oberschule, Central Collegiate genannt, in Hamilton. Ich wohnte anfangs für drei Dollar die Woche zusammen mit Marianne bei einer jüdischen Familie. Viele Jahre später habe ich das Notizbuch gefunden, in dem ich mir damals aufschrieb, was ich für Nahrungsmittel ausgab: fünf Cents für Sardinen, etwas mehr für Grieß. Milch, Obst und Kartoffeln bekamen wir von der Farm, wo wir die Wochenenden verbrachten.

Meine Schwester hatte bald keine Lust mehr, in die Schule zu gehen, und kehrte auf die Farm zurück, wo sie den Hühnerstall versorgte. Ich blieb in der Schule. Man konnte, anders als auf dem Gymnasium, seine Fächer wählen. Für die meisten Fächer musste ich kaum arbeiten, außer für Englisch, wo gerade Macbeth gelesen wurde. Ich las jeden Abend von sechs bis zehn vier Seiten, von denen die Hälfte aus Anmerkungen bestand, und sah fast jedes Wort im Wörterbuch nach. Ich weiß, man würde mich auspfeifen, wenn ich das heute Schülern empfehlen würde, aber ich habe so sehr schnell Englisch gelernt. Im Frühjahr bekam ich einen Brief von der McMaster University in Hamilton, in dem ich eingeladen wurde, im Herbst dort als Studentin anzutreten - egal ob ich die »Senior matric« (ungefähr Matura) schaffen würde oder nicht.

Während der Geschichtsunterricht in Taus aus dem Lernen von Namen, Fakten und Jahreszahlen bestanden hatte und man das ziemlich schmale Geschichtsbuch beinahe auswendig lernen musste, las man in Kanada ein dickes, illustriertes und spannend geschriebenes Buch, aus dem man sich selber das Wichtigste heraussuchen musste. Ich erinnere mich, wie beeindruckt ich davon war, dass die Lehrerin auf eine Seite der Tafel »Ursachen« und auf die andere »Wirkungen« schrieb (ich glaube, es handelte sich um die Französische Revolution) und die Schüler frei darüber diskutieren mussten, was nach ihrer Meinung in welche Spalte gehörte.

So wie wahrscheinlich alle Schüler, die von Europa nach Kanada kamen, fand ich die Schule sehr leicht.

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 38 f – Wilma Iggers

Katalog-Nr.: T0091