Zugang zur öffentlichen Bibliothek

Als ich in Little Rock ankam, hatte ich eigentlich keine konkreten Vorstellungen, wie ich mich politisch betätigen konnte. Dann geschah etwas, was ich nicht vorausgesehen hatte. Gleich nach unserer Ankunft im Herbstsemester 1950 bot ich eine Veranstaltung über die Welt seit 1918 an. Der Koreakrieg war im Sommer ausgebrochen. Wir hatten fast keine einschlägigen Bücher in der kleinen College-Bibliothek. Little Rock hatte wie viele amerikanische Städte eine schöne und reichhaltig bestückte öffentliche Bibliothek, die nur Weißen zugänglich war. Für die Schwarzen gab es nur eine winzige Bücherei, die aus einem kleinen Lesesaal für Erwachsene und einem für Kinder bestand und nur wenige Stunden in der Woche geöffnet war. Ich verfasste einen Leserbrief an die »Arkansas Gazette«, die liberale Tageszeitung, in dem ich dafür plädierte, Schwarzen Zugang zur Hauptbibliothek zu eröffnen. Ich war nicht zuversichtlich, dass ich mit diesem Brief etwas erreichen könnte. Zu meiner Überraschung nahm der aus fünf Mitgliedern des örtlichen Establishments bestehende Beirat der Bibliothek meinen Brief zum Anlass, unseren Präsidenten Harris, den ich über mein Vorhaben unterrichtet hatte, zu einem Gespräch einzuladen. Nach diesem Treffen entschied der Beirat, die Bibliothek der schwarzen Bevölkerung zugänglich zu machen. Diese Entscheidung wurde nicht öffentlich gemacht, mir jedoch wurde mitgeteilt, dass meine Studenten die Bibliothek benutzen könnten. Ich schickte sie auch gleich dorthin und sie wurden ohne Probleme bedient. Ich erfuhr später, dass die Bibliothekarinnen fast einstimmig gegen die Zulassung von Schwarzen gewesen waren, der Beirat allerdings einstimmig dafür. Diese Entscheidung war symptomatisch für die allmählichen Veränderungen, die sich in den Beziehungen zwischen den Rassen nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hatten.

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 104 f - Georg Iggers

Katalog-Nr.: T0009