Leben in der NS-Zeit

Georg Iggers spricht zu Schülerinnen und Schülern des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums Osnabrück, 2005

“Ich habe die ersten fast 6 Jahre des Nationalsozialismus mitgemacht als Kind. Also ich bin im Dezember 26 geboren, also in eine Familie, die bewusst jüdisch war, aber auch bewusst deutsch. Es hat eigentlich keinen Widerspruch gegeben zwischen jüdischer Identität und deutscher Identität. Und dann war ich als Kind natürlich mit dem Antisemitismus konfrontiert. Am 1. April 1933 war der Judenboykott, gleich, nachdem Hitler an die Macht kam. Dann, am 3. April, am Montag gleich nach dem Boykott bin ich in die Schule gekommen. Ich war eigentlich in mancher Hinsicht sehr privilegiert, ich bin in eine Volksschule in Hamburg gekommen, wo ich nichts vom Antisemitismus spürte. Ich hatte einen Lehrer, der sehr nationalistisch war, und wenn ich zurückblicke, ist da vieles, was mir nicht gefällt. Das große Thema war der Erste Weltkrieg, und was Deutschland gelitten hat. Da waren an der Wand im Klassenzimmer zwei große Tafeln, also eine Tafel, was wir verloren haben, darunter auch die Kolonien. Und ich glaube, für Deutschland war es ein Glück, das es die Kolonien verloren hat.Aber das hat man damals nicht so gesehen. Und dann auch, wie wir umzingelt werden, also Deutschland dufte nur 100.000 Soldaten haben und so weiter. Das Militärische wurde betont, und wie die Deutschen so heldenhaft im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. Aber dann auch war sehr viel Jugendbewegung, wir sind gewandert mit Wimpeln, und haben gesungen, haben Lagerfeuer gebaut. Es war alles sehr schön. In der Schule habe ich nichts vom Antisemitismus gespürt, aber in der Umgebung ja. Also es gab immer mehr Sachen, wo wir nicht hin durften. Ich bin leidenschaftlicher Schwimmer, heute auch noch, ich durfte nicht mehr schwimmen gehen. Juden wurden nicht mehr zugelassen. Ich konnte nicht mehr ins Kino gehen, Juden durften nicht in die Kinos. Da waren alle möglichen Geschäfte, wo stand, „Juden unerwünscht“. Das hat mich natürlich betroffen. Dann die furchtbare Propaganda des „Stürmer“, der „Stürmer“ war eine pornographische Zeitung, die überall aushing, also sehr krass antisemitisch, und da habe ich plötzlich bemerkt, ich bin ausgegrenzt, und bin dann immer mehr bewusst jüdisch geworden. "

Katalog-Nr.: V0108