Großväter - wirtschaftliche Erfolge und Misserfolge

Die Eltern meines Großvaters Gerson Igersheimer betrieben einen Gemischtwarenladen in Bad Mergentheim, bevor sie später nach Frankfurt zogen. Mein Großvater war Besitzer eines Bankgeschäfts, das aber so klein gewesen sein muss, dass er sich dem Vernehmen nach den einzigen Laufjungen noch mit einer anderen Bank im selben Gebäude teilte. Ein Freund meines Vaters gab an, der Großvater sei kurz vor seinem Tod 1913 in Konkurs gegangen. Mein Großvater Max Minden hingegen war - zumindest zeitweise - ungleich erfolgreicher. Er baute ein blühendes Geschäft auf, das landwirtschaftliche Produkte aus Russland nach Deutschland und England importierte. Von 1894 bis 1904 verwaltete er die englische Filiale in Hull, wo mehrere Kinder, darunter auch meine Mutter, geboren wurden. Angeblich geriet auch er kurz vor seinem Tod 1914 in finanzielle Schwierigkeiten, die möglicherweise zu seinem Ableben beitrugen.

In der nächsten Generation war der Bruder meiner Mutter, Ernst Minden, der erfolgreichste. In der für die Familie schweren Zeit nach 1918 konnte er nicht studieren, arbeitete sich dann aber im Bankgeschäft Max Warburg in Hamburg empor und leitete nach 1933 die Geschäfte der Bank in England. In seinem Engagement für die Verfolgten glich er ganz seinem Vater. Er ermöglichte es nicht nur Verwandten, sondern auch vielen anderen zu emigrieren. Auch meine Eltern unterstützte er dabei.

Mein Vater machte eine Lehre bei der Metallfirma Beer Sontheimer in Frankfurt. 1914 wurde er eingezogen und diente mit einer Unterbrechung auf Grund simulierter Krankheit bis zum Ende des Kriegs. Obwohl er sich als Deutscher fühlte, stand er doch jedem Nationalismus ablehnend gegenüber und sah den Krieg als großes Unglück an, von dem er sich fernhalten wollte. So lavierte er sich durch die Kriegszeit ähnlich dem braven Soldaten Schwejk. Er sprach ganz offen über sein Verhalten im Krieg, und obwohl mich dies als Kind störte, empfand ich es später als durchaus positiv. Er hat sich stets sehr für Politik interessiert, ohne sich parteipolitisch zu engagieren. Seine Einstellung war demokratisch. In der Weimarer Republik hat er treu von Januar 1919 bis März 1933 die Deutsche Demokratische Partei (1930 in der Deutschen Staatspartei aufgegangen) gewählt. 1919 ging er zu der Chemiefirma Ludwig Netter in Ludwigshafen und dann 1921 als Leiter ihrer dortigen Filiale nach Hamburg, wo seine Schwester wohnte. 1925 machte er sich in der Metallbranche selbstständig und heiratete kurz danach meine Mutter.

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 53 f – Georg Iggers

Katalog-Nr.: T0101