Jüdische Internatsschule - Freundschaft mit schwarzem Koch

Ich hatte nicht vor, am Sabbat in die Schule zu gehen, konnte aber nichts gegen eine staatliche Schule in New York einwenden, weil dort am Samstag ohnehin kein Unterricht stattfand. Da meine Eltern der Hilfsorganisation, die sich um uns kümmerte, mitteilten, ich gedächte nur eine jüdische zu Schule besuchen, vermittelte diese mir einen Platz in einer Internatsschule in Lakewood (New Jersey), ungefähr hundert Kilometer südlich von New York. Meine Eltern brachten mich mit dem Greyhound Bus hin und verschwanden, obwohl ich nicht bleiben wollte, ganz plötzlich und ließen mich dort zurück. Ich lebte mich allerdings rasch ein, fühlte mich allerdings nicht so wohl wie zuvor in Esslingen. Das Internat war sehr anders. Die Kinder kamen aus wohlhabenden Familien, Lebensstandard, Verpflegung und Unterkunft waren alles andere als spartanisch, und ich hatte mit den Schulkameraden weit weniger gemein als in Esslingen. Ein deutschsprachiger Junge aus Litauen lieh mir seine Karl-May-Bibliothek, die ich aus Langeweile verschlang. Nur mit dem Koch, dem ersten Schwarzen, den ich kennen lernte und mit dem ich mich gut unterhalten konnte, schloss ich damals Freundschaft. Wegen meiner mangelnden Englischkenntnisse hatte man mich in die vierte Klasse zurückversetzt. Eine Lehrerin widmete mir jedoch viel Zeit beim Englisch- und Politikunterricht, so dass ich rasche Fortschritte machte.

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 67 – Georg Iggers

Katalog-Nr.: T0118