In meinem letzten Jahr in der High School freundete ich mich mit Dale Chapman an, der eben aus dem Norden gekommen war. Mit ihm machte ich stundenlange Wanderungen in der Umgebung, bei denen wir uns intensiv über alle möglichen philosophischen, religiösen und politischen Fragen unterhielten. Uns allen lag die Abschaffung der Rassendiskriminierung am Herzen.
Im Frühjahr 1942 fehlten mir nur noch zwei Kurse für den High-School-Abschluss. Ich wollte zur Universität, aber meine Eltern, besonders mein Vater, waren unsicher, ob ich überhaupt studieren sollte. Sie standen mit ihrer Einstellung unter den deutsch-jüdischen Immigranten nicht allein. Im Jahr zuvor hatte ein Junge aus einer jüdischen Immigrantenfamilie ein Stipendium von der Richmonder Universität ablehnen müssen, weil seine Eltern gegen die Studienaufnahme gewesen waren. Meine Eltern hätten es gern gesehen, wenn ich angefangen hätte, Geld zu verdienen. Am Anfang der Sommerferien vermittelte mir die jüdische Gemeinde einen Job in einem kleinen Lebensmittelgeschäft im schwarzen Viertel. Die Besitzer waren ein älteres Ehepaar, das am Anfang des Jahrhunderts aus Osteuropa eingewandert war und nur das notwendigste Englisch gelernt hatte. Sie waren mürrisch, wollten, dass ich zwölf Stunden am Tag arbeitete, gaben mir kaum Zeit zum Essen und wollten sich zuerst auch nicht festlegen, wie viel sie mir zahlen würden, bis sie mir endlich fünf Dollar die Woche anboten. Am Ende der Woche kündigte ich und beschloss, in die Sommerschule zu gehen, um die zwei noch fehlenden Kurse zu belegen, so dass ich im September mit dem Studium anfangen konnte. Ich hatte allerdings nicht das nötige Geld für die geringen Studiengebühren der Sommerschule. Mein Vater wollte mir das Geld nur unter der Bedingung leihen, dass ich meine Betätigung in der Union-Now-Bewegung aufgäbe, gab aber dann doch nach.
Im September begann ich dann mit Hilfe eines zinsfreien Darlehens von einer jüdischen Frauenorganisation zu studieren. Die meisten privaten Colleges und Universitäten in den USA und Kanada waren ursprünglich von kirchlichen Glaubensgemeinschaften gegründet worden, denen sie in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts noch eng verbunden waren. Die University of Richmond gehörte der Southern Baptist Association an, der größten protestantischen Kirche im amerikanischen Süden, theologisch überwiegend fundamentalistisch ausgerichtet, obwohl es eine liberale Minderheit gab, und politisch konservativ, auch in Bezug auf die Rassenfrage.
Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 74 f – Georg Iggers