Ich wurde am 7. Dezember 1926 in Hamburg in eine jüdische Familie geboren. Meine Vorfahren hatten seit vielen Generationen in Deutschland gelebt. Über die Geschichte der Familien meiner Großeltern weiß ich nur wenig, am wenigsten über die meiner Großmutter väterlicherseits, Lina (Caroline) geb. Mela. Der Name lässt vermuten, dass die Familie sephardischen Ursprungs ist und zur Zeit der Judenverfolgung im 16. Jahrhundert nach Deutschland gekommen ist. Mein Großvater väterlicherseits, Gerson Igersheimer, der Ehemann von Lina Mela, ist als Zwölfjähriger mit seinen Eltern 1871 von Bad Mergentheim nach Frankfurt übersiedelt. Da der kleine Ort Igersheim nur zwei Kilometer von Bad Mergentheim entfernt ist, ist es wahrscheinlich, dass die Familie von dort stammt. Meine Mutter Lizzie war eine geborene Minden, und wir wissen, dass die Familie 1720 von Minden nach Lüneburg zog, 1770 dann weiter nach Altona und Mitte des 19. Jahrhunderts nach Hamburg. Urkundlich lässt sich die Familie meiner Großmutter mütterlicherseits, Sophie Minden, geb. Feitler, bis in das 18. Jahrhundert ins Rheinland zurückverfolgen.
Wie weit die Familien in die allgemeine deutsche Umgebung integriert waren, lässt sich für die Zeit vor Mitte des 19. Jahrhunderts nicht genau rekonstruieren. Wir können annehmen, dass ihre Integration ähnlich verlief wie die der meisten deutschen Juden: dass sie sich also im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts zunehmend mit der deutschen Kultur identifizierten. So war es üblich, dass Knaben, auch in orthodoxen Familien wie der meines Vaters, zur Bar-Mizwa (der Konfirmation) die deutschen Klassiker Goethe, Schiller, aber auch Lessing und Heine geschenkt bekamen und dass sich ihr Lebensstil weitgehend dem des deutschen Bürgertums anglich. In ihrem Verhältnis zur Religion unterschied sich die Familie meines Vaters von der meiner Mutter. Mein Vater wuchs in einem streng orthodoxen Elternhaus in Frankfurt auf, das der so genannten Austrittsgemeinde.
Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 51