Flucht aus Bischofteinitz

Im September ging ich wieder ins Gymnasium. Zu der Zeit fuhren in dem Zug, der uns nachmittags nach Hause brachte, schon Juden und Tschechen mit Koffern und Körben aus dem Grenzgebiet ins Innere des Landes. Meine Mutter hatte Angst, mich fahren zu lassen, aber ich setzte mich jeden Tag durch, bis mein Vater zurück war. Die Einstellung der Teinitzer Bevölkerung zu den Juden änderte sich. Eines Tages war unsere Gartenmauer mit Hakenkreuzen beschmiert. Als ich mich einmal auf dem Bahnhof auf eine Bank setzen wollte, auf der bereits eines der Kinder aus einer armen Familie saß, die bei uns zuvor häufig ein Mittagessen bekommen hatte, stand das Mädchen auf und spuckte vor mir aus. In Neuhof wurden eines Nachts vierzig neu gesetzte Kirschbäume geknickt….

Unsere Flucht kam dann ganz plötzlich. Es dürfte am 15. September gewesen sein, als Pepi Löwith, ein Mitglied unserer Gruppe, der gerade beim Militär diente, bei uns gegen 4.30 Uhr in der Früh ans Fenster klopfte, um uns zu warnen, dass die Nazis an dem Tag etwas gegen die Juden vorhätten. Dass Herr Stirba, unser einziger Polizist, uns nicht würde beschützen können, war allen klar. Also packten wir in aller Eile, was wir in unserem Praga Piccolo mitnehmen konnten. Ich hatte meinen letzten Teinitzer Krach mit meiner Mutter, weil ich unbedingt meine Fotoalben und einige meiner Bücher mitnehmen wollte und sie mehr für warme Kleidung war. Wir fuhren ins Innere des Landes nach Svinar bei Beraun, wo Walter und seine Familie wohnten. Genau erinnere ich mich nur daran, dass mein großer, starker Vater, gleich nachdem wir uns von den Arbeitern verabschiedet und den Hof verlassen hatten, anhielt, den Kopf auf das Lenkrad legte und bitterlich weinte, es war für ihn sehr schwer, sich von der Heimat zu trennen.

Als wir ungefähr um sieben Uhr früh auf dem Hof in Svinar ankamen, waren wir nicht die Einzigen. Ich erinnere mich an wenigstens fünf verwandte Ehepaare oder Familien, die untergebracht und bewirtet werden mussten. Sie kamen von überall her aus den Grenzgebieten und auch aus Wien. Ich schlief dort auf zwei zusammengeschobenen Sesseln.

Mein Vater musste für uns alle Flugtickets besorgen - irgendwohin jenseits von Deutschland, denn durch Deutschland konnten wir nicht fahren, da auf seinen Kopf - tot oder lebendig - 10 000 Reichsmark ausgesetzt waren.

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 33 f – Wilma Iggers

Katalog-Nr.: T0087