Einschulung

Am 3. April 1933, dem Montag nach dem Judenboykott, wurde ich in die Volksschule für Knaben, Knauerstraße 22, in Hamburg-Eppendorf eingeschult. Wir wohnten damals im Schrammsweg 4, direkt um die Ecke von der Eppendorfer Landstraße, einer der Hauptverkehrsadern Hamburgs. In diese einfachere, aber immer noch angenehme Wohnung waren wir 1931 aus der vornehmeren Eppendorfer Landstraße 54 umgezogen. Mein bester Freund, Karl-Heinz Martin, der Sohn des Hausverwalters jener früheren Wohnung, war in meiner Klasse. Dass ich Jude war und er Christ - den Ausdruck Arier kannten wir nicht -, wussten wir nur dadurch, dass ich bei ihm Weihnachten und er bei uns Chanukka feierte. Ein Beispiel dafür, wie unbefangen jüdisch ich war, bietet folgende kleine Begebenheit: Mein Vater hatte mich am Weihnachtstag 1932, also knappe fünf Wochen vor der NS-Machtergreifung, ins Theater zu einem Kinderstück mitgenommen. Am Schluss verkündete die Hauptdarstellerin auf der Bühne, dass, weil Weihnachten sei, alle Kinder eine Tüte mit Süßigkeiten bekämen. Als ich aufstand und sagte, dass ich Chanukka feiere, antwortete sie: »Das Kind, das Chanukka feiert, bekommt zwei Tüten.«

Ich wusste zunächst kaum, was politisch vorging. Karl-Heinz Martin und ich beobachteten vom Balkon seiner Wohnung aus die Umzüge der Kommunisten und der Nationalsozialisten im Jahre 1932 und den großen sozialdemokratischen Umzug am 1. Mai. Dass es nicht weit von unseren Wohnungen zu blutigen Zusammenstößen zwischen Nazis und Kommunisten kam, erfuhren wir nicht. In der Schule kam es nach und nach zu Veränderungen. Ich kann mich noch erinnern, wie die Hakenkreuzfahne das schwarz-rot-goldene Banner der Weimarer Republik ablöste und der Klassenlehrer uns eines Tages sagte, wir sollten ihm nicht die Hand geben und mit Guten Morgen grüßen, sondern neben unseren Pulten stehen und den Hitlergruß entbieten. Dann kam der Appell jeden Montag auf dem Schulhof mit dem Hissen der Hakenkreuzflagge, der Ansprache des Schulleiters und dem Singen des Deutschland- und des Horst-Wessel-Liedes.

(Zwei Seiten der Geschichte, S. 57 f – Georg Iggers)

Katalog-Nr.: T0104