Mitte der achtziger Jahre begann sich in der DDR einiges zu lockern. Ich hatte öfters beklagt, dass ich in der DDR nur im geschlossenen Kreis und nicht vor Studenten hatte vortragen dürfen. Während unseres Aufenthaltes in Leipzig im Herbst 1985 beteiligte ich mich in der Moritzbastei mit Hartmut Zwahr und Werner Berthold an einem öffentlich zugänglichen Kolloquium über den internationalen Historikerkongress in Stuttgart. Kurz darauf lud mich Peter Schäfer zu einem Vortrag vor Studenten nach Jena ein. Schäfer war Amerikanist, durfte aber nicht ins John-F.-Kennedy-Institut nach West-Berlin fahren, wo Materialien liegen, die für seine Forschungen unentbehrlich waren. Ich sollte in Jena über die Geschichtswissenschaft in den USA referieren, sprach aber weniger über die Resultate der Forschung als darüber, wie in Amerika geforscht wird, und betonte dabei den Pluralismus und die relative Unabhängigkeit der Forschung. Die erste, vielleicht bestellte Meldung aus dem Publikum denunzierte meinen Vortrag sofort als »kleinbürgerlich«. Jeder wisse ja, dass die amerikanischen Historiker im Auftrag des Staates und des Finanzkapitals arbeiteten. Als ich den Studenten, der diesen Einwurf gemacht hatte, aufforderte, seine Behauptungen zu präzisieren, und er verlegen stotterte, begann das Publikum zuerst zu lachen und dann zu applaudieren.
Im Juni 1986 hielt ich dann zum ersten Mal in Leipzig einen öffentlichen Vortrag, der im Alten Senatssaal stattfand. Ihm folgte eine lebhafte Diskussion. Berthold, der den Vortrag organisiert hatte, war es sehr peinlich, dass ich mich in der Diskussion kritisch zur Außenpolitik der Sowjetunion verhielt. Er ließ mich wissen, dass »wir immer untereinander über alles reden können, dass aber unsere Zusammenarbeit gefährdet wird, wenn Du derartiges in einem Vortrag äußerst«. Wilma äußerte sich ähnlich kritisch in einem Vortrag, den sie gleichfalls im Juni 1986 in der PH Clara Zetkin hielt.
Quelle:Iggers, Zwei Seiten der Geschichte, S. 219 f