3. Oktober 1990

Im Oktober des selben Jahres fand die Tagung der German Studies Association in Buffalo statt. Diesmal war eine ganze Gruppe von Historikern und Historikerinnen aus der Noch-DDR angereist. Am 3. Oktober, dem Tag der Wiedervereinigung, hielten wir kurz vor Beginn der Tagung ein kleines Kolloquium über die Wiedervereinigung an der Niagara University ab. Am Nachmittag gingen wir in Niagara Falls mit der ganzen Gruppe über die Brücke nach Kanada, was früher nicht möglich gewesen wäre. Jetzt wurden die DDR-Pässe als bundesdeutsche Pässe betrachtet. Am selben Tag erschienen zwei Mitglieder der DDR-Botschaft in Washington zur Tagung und überreichten mir als eine ihrer letzten Amtshandlungen eine Urkunde, die mich zum auswärtigen Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR ernannte, und einen Brief von Lothar de Maizière (CDU), dem letzten Ministerpräsidenten der DDR.

Die GSA-Tagung klang für mich, Wilma und unsere Gäste aus der DDR sehr angenehm aus: Unsere inzwischen verstorbene Putzfrau Virginia King war Mitglied einer kleinen baptistischen Gemeinde in einem schwarzen Armenviertel von Buffalo. Die Gemeinde lud alle ostdeutschen und einige westdeutsche Teilnehmer der Tagung zu einem Sonntagsgottesdienst und einem anschließenden gemeinsamen Essen ein. Hartmut Zwahr wurde von der Gemeinde gebeten, über die Bürgerbewegung in der DDR zu sprechen, in der viele der Gemeindemitglieder eine Parallele zur schwarzen Bürgerrechtsbewegung in Amerika sahen. Beim Essen saß immer ein schwarzes Mitglied der Gemeinde neben einem deutschen Gast, für beide Seiten eine neue Erfahrung.

Zwei Jahre später, im Juli 1992, wurde mir vom Berliner Senat mitgeteilt, dass meine Mitgliedschaft in der Akademie der Wissenschaften der DDR mit der Auflösung der Akademie erloschen sei.

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 228 f – Georg Iggers

Katalog-Nr.: T0053