Im Sommer 1955 machte die Schulbehörde angesichts des wachsenden Widerstands gegen die Integration in den Schulen einen Rückzieher. Zunächst gab man bekannt, dass Schüler nach der Abschaffung der Rassentrennung nicht verpflichtet seien, die Schule in ihrem Bezirk zu besuchen, sondern sich die Schule frei auswählen könnten. Weiterhin wurde bekannt, dass die neue Horace Mann High School im Osten der Stadt ausschließlich schwarze, die andern beiden High Schools aber nur weiße Lehrer beschäftigen würden. Der Beginn der Abschaffung der Rassentrennung wurde vom September 1956 auf den September 1957 verschoben. Im Herbst wurde dann mitgeteilt, dass die Horace Mann High School schon mit dem Beginn des 2. Semesters Ende Januar 1956 als schwarze Schule eröffnet würde. Uns blieb also nicht anderes übrig, als der Schulbehörde den Prozess zu machen, was wir gern vermieden hätten.
Die Zentrale der NAACP in New York bot uns keine finanzielle Unterstützung an und wir hatten nicht die Mittel, einen Prozess allein einzuleiten. Wir brauchten also einen Anwalt, aber die schwarzen Anwälte in Little Rock wollten zu viel Geld. Dann erklärte sich aber Wiley Branton, ein junger Anwalt aus Pine Bluff, der als erster Schwarzer das Jurastudium an der Universität Arkansas absolviert hatte und später eine sehr erfolgreiche Karriere in Washington machte, bereit, den Prozess unentgeltlich zu führen, wenn wir das Geld für die Gerichtskosten aufbringen könnten. Wir benötigten für den Anfang dreihundert Dollar, die wir nicht hatten. Wilma und ich schrieben an unsere Freunde im Norden und an Wilmas Verwandte in Kanada und in wenigen Tagen hatten wir die benötigte Summe. In der Ortsgruppe besprachen wir dann unsere Strategie. Schüler, die in der Nähe der Little Rock Central High School wohnten und mit Bussen in die Horace Mann High School transportiert werden sollten, sollten versuchen, sich in der Little Rock Central High School anzumelden. Wir suchten also Kinder und Eltern, die bereit waren, sich als Kläger am Prozess zu beteiligen. Wir besuchten Familien im Umkreis der Little Rock Senior High School und waren überrascht, wie viel Zustimmung wir fanden. Mehreren Eltern mussten wir von der Teilnahme abraten, weil sie an Schulen angestellt waren und ihre Arbeitsplätze gefährdet hätten.
Am ersten Schultag des zweiten Semesters sollten sich die Kinder mit ihren Eltern an verschiedenen Treffpunkten versammeln, um dann in die Schule begleitet zu werden. Am Abend vorher trafen wir uns noch einmal in unserer Wohnung, als Präsident Harris, der uns bis dahin nichts in den Weg gelegt hatte, anrief und mir, Wilma und Lorch davon abriet, uns an der Aktion zu beteiligen. Wir beteiligten uns dennoch. Am nächsten Tag versammelten sich statt der fünfundzwanzig Schüler und Schülerinnen, die wir erwartet hatten, über achtzig, von denen wir die meisten nicht besucht hatten. Die Schüler wurden, wie erwartet, abgewiesen und der Prozess eingeleitet. Er hatte die Unterstützung eines großen Teils der schwarzen Bevölkerung, die wie auch einige Weiße einen finanziellen Beitrag zu den Prozesskosten leisteten. Von diesem Zeitpunkt an beteiligte sich auch die New Yorker Zentrale an dem Prozess. Wir gewannen ihn nur zum Teil. Während wir die Aufhebung der Rassentrennung in den High Schools allgemein durchsetzen wollten, entschied das Gericht, dass die Little Rock Central High School mit Beginn des Schuljahres 1957 schwarze Schüler aufnehmen müsse, beschränkte deren Zahl aber auf neun.
(Iggers, Zwei Seiten, S. 115 ff – Georg Iggers)