Von 1968 bis zum Ende des Vietnamkrieges engagierte ich mich intensiv in der Beratung von Kriegsdienstverweigerern. Ein sehr großer Teil der Studenten lehnte während des Krieges den Wehrdienst ab. Dieser Widerstand nahm zwei voneinander verschiedene Formen an. Die eine, die sich »Draft Resistance« (Widerstand gegen den Wehrdienst) nannte, empfahl wehrpflichtigen Männern, ihre Wehrpässe öffentlich zu verbrennen und nach Kanada oder Schweden zu emigrieren. Die andere Strategie war die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (conscientious objection) nach eingehender Beratung. Wir organisierten Anfang 1968 in Buffalo eine Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerer (Buffalo Draft Counseling Center), die diese Flucht von jungen Leuten ins Ausland verhindern sollte, indem sie sie über mögliche Alternativen aufklärte und ihnen Hilfestellung beim Abfassen von Anträgen als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen erteilte. Die Berater waren anfangs wohlmeinende Mitbürger, die jedoch dabei auf Grund der komplizierten Gesetzeslage und Verfahren schnell an ihre Grenzen stießen. Als zudem der Andrang immer größer wurde – bis zu dreihundert in der Woche - überließen die Quäker uns von Montag früh bis Samstag Abend ihr Gemeindehaus (Meeting House) als zentrale Beratungsstelle. Ein junger Quäker, Larry Scott, der sein Studium unterbrach, zog mit seiner Frau in das Gemeindehaus und widmete sich ganztags der Beratungsarbeit. Zusammen mit einem zweiten ebenfalls jungen ehrenamtlichen Mitarbeiter, Paul Post, der ihm zur Seite stand, wurde er vom Central Committee for Conscientious Objectors (Zentralverband der Kriegsdienstverweigerer) - CCCO - in Philadelphia für diese Aufgabe ausgebildet. Die Beratungsarbeit wurde nun professionalisiert: Alle Berater mussten eine von Scott und Post geleitete Schulung mitmachen, und es wurde eine Bibliothek eingerichtet, in der einschlägige Gerichtsentscheidungen und Verfügungen der Wehrdienstbehörde (Selective Service) gesammelt wurden, die jeder Berater zu kennen hatte.
Für die meisten der ursprünglichen Berater und Beraterinnen, die alle mittleren Alters waren und im Berufsleben standen, war das zu viel. Sie wurden von jungen Kriegsdienstverweigerern ersetzt, die das Verfahren kannten und außerdem die Schulung absolviert hatten. Ich verpflichtete mich, nach der Schulung jeden Dienstag und Donnerstag Abend Beratungen im Quaker Meeting House durchzuführen, stand aber Antragstellern auch außerhalb dieser Zeiten in meinem Arbeitszimmer in der Universität und zu Hause zur Verfügung. Die zentrale Frage jedes Antrags war es, wie der Antragsteller wohl zu seiner Überzeugung gekommen sei. Jeder Antrag war daher gleichsam eine Art philosophischer Abhandlung, in der übrigens erstaunlich oft der Name Hermann Hesse vorkam. Dabei wurden diejenigen benachteiligt, die aus weniger privilegierten Schichten stammten und oft nicht in der Lage waren, sich entsprechend zu artikulieren.
Trotz unserer Erfolge und der für mich häufig sehr anregenden Gespräche mit jungen Leuten hatte ich manchmal ein ungutes Gefühl. Ich war nicht davon überzeugt, dass alle Antragsteller wirklich Kriegsgegner aus Gewissensgründen waren, obwohl ich natürlich auch Verständnis dafür hatte, dass sie angesichts der Gefahren des Krieges nicht dienen wollten. Ein Freund unseres Sohnes Daniel, den ich erfolgreich beraten hatte, meldete sich kurz danach freiwillig bei der israelischen Armee. Fast jedem Studenten, der nicht dienen wollte, auch Bill Clinton, ist es gelungen, den Wehrdienst zu umgehen; dafür wurden junge Männer aus den unteren sozialen Schichten, darunter viele Schwarze, eingezogen und nach Vietnam geschickt. Uns tat es Leid, dass fast keine Schwarzen zu uns kamen, obwohl unsere Beratungsstelle mitten in einem schwarzen Viertel lag, direkt gegenüber dem nach Alexander von Humboldt benannten Humboldt Park, der zu dieser Zeit in Martin Luther King Park umbenannt wurde.
Bevor wir im Herbst 1971 für ein Jahr nach Deutschland gingen, ließ ich mich vom CCCO als Berater für Kriegsdienstverweigerer im Militär ausbilden und beriet dann tatsächlich mehrere amerikanische Soldaten in Deutschland, darunter einen Militärpolizisten und einen bei einer Nukleareinheit stationierten Offizier, die aus Gewissensgründen nicht weiter dienen wollten. Als wir 1972 wieder in Buffalo waren, kamen dann erstmals auch Schwarze, Latinos, ein Indianer und auch vereinzelt Frauen zur Beratung, die aus dem Militär entlassen werden wollten.
Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 179 ff – Georg Iggers