Auswanderungspläne

Erst nach dem Anschluss Österreichs begannen wir uns darüber Sorgen zu machen, dass der Nationalsozialismus uns auch bedrohen könnte. Meine Eltern hatten beschlossen, einen Teil des Wirtschaftsgebäudes als Zimmer für Marianne und mich ausbauen zu lassen. Am Montag nach dem dreizehnten März 1938 sollte mit den Arbeiten begonnen werden, aber die wurden nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich abgesagt. Im Mai schickte meine Mutter die guten Silberbestecke zu Verwandten ins Landesinnere. Mir schien das ganz überflüssig; mein Vater hätte doch zur selben Zeit in Neuhof keine automatischen Tränken für die Kühe einbauen lassen, wenn etwas zu befürchten gewesen wäre!

Von Auswanderung wurde bei uns zum ersten Mal konkret im Juni 1938 gesprochen. Emil Lederer, ein Freund, der in Nordböhmen lebte und darum wohl einen stärkeren Eindruck von den einheimischen Nazis hatte als wir, erzählte uns von einem befreundeten sudetendeutschen Sozialdemokraten, der nach Kanada - genauer nach Neu-Schottland - ausgewandert sei und ihn drängte, nachzukommen. Die »Kompanie« beschloss, dass mein Vater mit Karl Schleissner, einem Teinitzer Verwandten, nach Kanada fahren und sich dort umsehen sollte. Er setzte sich mit der Canadian Pacific Railway (CPR) in Verbindung, die als Einwanderungsbehörde für Kanada fungierte. Der Beamte der CPR, der nach Neuhof geschickt wurde, war vom Gut und von meinem Vater begeistert und empfahl der Einwanderungsbehörde in Ottawa, uns die Einreise zu gestatten.

Allmählich vergrößerte sich unsere Gruppe auf neununddreißig Personen. Ich werde immer wieder gefragt, ob unsere Gruppe nur aus Juden bestand. Jara, die Frau unseres Cousins Hugo Abeles, war katholisch, und auch Arnold Schmoker war dabei, der protestantische Sohn unseres Viehzuchtexperten. Er war Schweizer von Herkunft und von Beruf. Die meisten waren verwandt, wenn auch manche weitläufig.

Mein Vater beschloss, je eine Familie von Landwirten mit einer anderen, die Geld im Ausland hatte, zusammenzustellen. Das war notwendig, denn abgesehen von der Überfahrt brauchte jede Familie ein Minimum von 1000 kanadischen Dollar als Anzahlung für eine Farm. Unser Partner war Alex Lustig, ein junger Advokat aus Prag mit Frau Marianne und der kleinen Tochter. Eigenes Geld im Ausland hatte keiner von uns Farmern. Das war übrigens in der Tschechoslowakei damals auch verboten. Meinem Vater gelang es, einige Perserteppiche nach England zu schmuggeln. Aus dem Erlös bekam jeder der Kompagnons 300 Dollar. Mein Vater überließ seinen Anteil den anderen, wohl um später sagen zu können, er sei ohne einen Cent in Kanada angekommen. Meine Mutter wandte ein: »Und was ist, wenn einer von uns eine Blinddarmoperation braucht?« Mein Vater antwortete, dass sei auszuschließen, und behielt wieder einmal Recht.

Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 31 ff – Wilma Iggers

Katalog-Nr.: T0086