Ab Anfang September sollten wir mit Georgs Stipendium in Deutschland oder einem anderen deutschsprachigen Land sein. Von Le Mée aus machten wir im Laufe des Sommers mehrere Reisen, um eine Wohnung zu finden. In Freiburg, Heidelberg und München hatten wir keinen Erfolg. Es gab kaum Wohnmöglichkeiten, und für Amerikaner mit drei Kindern erst recht nicht. In der Nähe von Innsbruck wurde uns ein schönes, preiswertes Haus angeboten; aber als wir die dortige Schulbehörde baten, unsere Kinder vom katholischen Religionsunterricht zu befreien, wurde dem zwar entsprochen, aber uns zugleich nahe gelegt, dass wir und die Kinder verschweigen sollten, dass wir Juden seien.
Also standen wir im Innsbrucker Postamt unter dem Bild von Kaiser Franz Joseph und überlegten, was weiter - bis uns einfiel, dass wir Göttingen noch nicht versucht hatten. Auf Norddeutschland hatte ich keine besondere Lust, rief aber doch das Akademische Auslandsamt der Universität an und erfuhr, dass in Göttingen eine Möglichkeit bestehe und dass wir kommen sollten, um uns eine Wohnung anzusehen. Georg fuhr dann von Le Mée aus nach Göttingen. Es stellte sich aber heraus, dass sie erst Anfang Mai frei sein würde. Die Guggenheim-Stiftung war damit einverstanden, dass wir erst im Mai nach Göttingen umziehen würden. Wir waren erleichtert, bis dahin in Le Mée, wo wir uns gut eingelebt hatten, bleiben zu können und so auch nur drei Monate in Deutschland verbringen zu müssen.
Als wir dann nach Göttingen kamen, erwiesen sich unsere Befürchtungen als unbegründet. Wir fühlten uns rasch wohl. Jeremy ging in die Sexta des Max-Planck-Gymnasiums, Danny in die Grundschule im damaligen Dorf Geismar, wo wir wohnten, und Jonathan zuerst in den dortigen Kindergarten und dann in den Schulkindergarten. Die Kinder freundeten sich schnell mit ihren Mitschülern an - das Deutschlernen war für sie überhaupt kein Problem, aber das war das Französischlernen im vorigen Jahr ja auch nicht gewesen.
Quelle: Iggers, Zwei Seiten der Geschichte, S. 154 f – Wilma Iggers