Am 24. Oktober flogen wir mit einem Teil unserer Gruppe nach Brüssel.
Bei der Kontrolle am Flughafen sah sich der Beamte unsere Papiere an und sagte nur: »Vierundzwanzig Stunde heraus.« Wir konnten aber dann doch eine Woche in Belgien bleiben. Von Brüssel fuhr mein Vater als Einziger weiter nach London, um Geld für die Weiterreise zu besorgen. Hugo, mein Lieblingscousin aus der Generation meiner Eltern, ein Bohémien, mit dem ich bis zu seinem Tod vor ungefähr zwanzig Jahren eng befreundet blieb, war schon vorher angekommen und trug viel dazu bei, uns von der traurigen Wirklichkeit abzulenken. Nach und nach waren dann alle 39 in Brüssel. Wir fuhren von dort nach Antwerpen, wo wir auf das Schiff warteten, das uns nach Harwich in England bringen sollte.
Ich glaube, dass es vielen aus meiner Generation ähnlich ging wie mir: Wir waren traurig, dass unser früheres Leben zu Ende war, aber Sorgen machten wir uns kaum. Dass mein Vater eventuell nicht alles würde richten können, fiel keinem von uns ein. Es gab viel Neues zu entdecken, und das würde noch lang der Fall sein. In Brüssel nahm mich Hugo mit in ein Kaffeehaus: Er hatte jemand kennen gelernt, dessen Muttersprache Englisch war. Ich sah auch zum ersten Mal Afrikaner: Hafenarbeiter oder vielleicht auch Matrosen aus dem belgischen Kongo.
In England fuhren wir mit dem Zug durch die Midlands und sahen auch etwas von Manchester und Liverpool. Ich hatte noch nie Straßen gesehen, in denen alle Häuser gleich und verrußt und hässlich und ohne Vegetation waren. Es war November, und alles, auch die Landschaft, war grau, kalt und schmutzig. In England wurde mir bewusst, wie schön es bei uns daheim gewesen war.
Während der Fahrt mit dem Schiff über den Ärmelkanal und der sechs Tage auf dem Ozean, vom 4. bis zum 11. November, bevor wir in den St.-Lorenz-Strom kamen, fühlte ich mich elend.
Von Montreal aus fuhren wir mit dem Nachtzug nach Hamburg in die Provinz Ontario.
Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 35 f – Wilma Iggers