Anfang August fuhren wir also nach Halle. Es war ein seltsames Gefühl, als wir am frühen Abend von der belebten Autobahn abbogen und nach einer kurzen Kontrolle plötzlich in der DDR waren, durch die düsteren Straßen von Magdeburg fuhren, die im Vergleich zu den westdeutschen Städten, die wir kannten, trostlos wirkten, und dann auf den leeren Landstraßen weiter nach Halle. Damals musste man als Westler nicht unbedingt im Interhotel wohnen, sondern konnte sich auch eine preisgünstigere Übernachtung aussuchen. Wir sollten im Hotel »Zum Weltfrieden« untergebracht werden. Als wir dort kurz vor Mitternacht ankamen, fanden wir einen Zettel am Eingang: »Weltfrieden wegen Reparatur geschlossen.« Uns blieb deshalb nichts anderes übrig, als zum Interhotel zu fahren, wo man schon über uns Bescheid wusste und uns zum »Roten Ross« schickte, einem einfachen, zentral gelegenen Hotel. Am nächsten Morgen erschienen dort tatsächlich Professor Tillmann und Dr. Hübner. Ein Chauffeur, der sie brachte, nahm Wilma und die Kinder mit, um ihnen Halle zu zeigen, während Tillmann und Hübner mich zur Universität geleiteten. Ich war erst der zweite amerikanische Historiker, der in den sechziger Jahren die Universität Halle besuchte. Mein Vorgänger war Herbert Apotheker gewesen, der Hofhistoriker der KP USA. Tillmann schenkte mir sein Buch »Deutsche Nahostexpansionen am Vorabend des 2. Weltkrieges«, Hübner sprach über seine Forschungen über ostdeutsche Landbesitzer und Dr. Anderle, der sich zu uns gesellte, über seine Arbeit über die deutsch-sowjetische Annäherung während der Rapallo-Konferenz 1923. Als ich den Wunsch ausdrückte, weitere Historiker in der DDR kennen zu lernen, versprach Tillmann, dabei behilflich zu sein. Er verschaffte uns auch kurzfristig die polizeiliche Erlaubnis, noch am selben Tag nach Leipzig fahren zu können. Dort empfingen uns Werner Berthold, Hans Schleier und der von Berthold betreute Doktorand Günter Katsch. Wir hatten ein längeres Gespräch über unsere gemeinsamen historiographischen Interessen, und Berthold bot mir an, für mich eine Einladung für den Sommer 1967 zu beantragen. Tillmann hatte mich zuvor schon mündlich eingeladen, im Juni 1967 zu den Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Universitäten Halle und Wittenberg zu kommen.
Quelle: Iggers, Zwei Seiten der Geschichte, S. 194