Ich bin in die »Kompanie« Abeles und Popper hineingeboren, und es wurde mir erst lange nach der Auswanderung bewusst, wie außergewöhnlich diese war. Mir war sie ähnlich wichtig wie mein Elternhaus. Sie entstand lange vor meiner Zeit. 1889 heiratete mein Großvater Richard Abeles aus Hochlibin bei Kralowitz Mina Popper aus Rejkowitz, einem Choden dorf ganz in der Nähe von Taus (Domaclice). Das Datum steht im Ehering meiner Großmutter, den ich selbst als Ehering trage. Meine Großeltern wohnten bei den Eltern meines Großvaters am Dorfplatz von Hochlibin. Das Haus steht heute noch. Meine Großmutter Mina schrieb ihren Eltern bald nach ihrer Heirat, dass ihr bang sei, und so entschloss sich ihr Bruder Pepi Popper zu einem großzügigen Schritt: Obwohl er der Wohlhabendere war, bot er seinem Schwager Richard an, mit ihm »Kompanie« zu machen. Beiden Familien würde alles gemeinsam gehören, und beide würden vom Ertrag der gemeinsamen Landwirtschaft leben. So geschah es. Richard und Mina Abeles zogen in die Nähe der Poppers, auf den Hammerhof, wo ihr erstes Kind Olga geboren wurde.
Von Anfang an wurde in eine gemeinsame Kasse gewirtschaftet. Man war sparsam und fleißig, unterstützte zwar arme Verwandte, aber gab keinen Heller unnütz aus. Glücklicherweise wuchsen die beiden Familien symmetrisch: eine Tochter, die eine Mitgift bekommen musste, und je zwei Söhne, die von ihren Vätern die Höfe übernehmen konnten.
Vor der Geburt meines Vaters 1896 pachtete die »Kompanie« den Meierhof Hlas von der Stadt Bischofteinitz . Dort wurden mein Vater und Onkel Leo geboren. Außer dem Hof mit einigen Arbeiterwohnungen gab es in Hlas, das drei Kilometer von Teinitz entfernt liegt, nur ein Forsthaus.
Nach der Geburt meines Vaters ließ mein Großvater die Arbeiter Feierabend machen und spendierte ihnen ein großes Fass Bier. Ich erinnere mich an ein »Kaffeetipfl« - etwas größer als eine Tasse -, auf dem stand: »Dem Vater zur Freude, der Mutter zum Glück legt Karl Abeles das erste Jahr zurück.« Meine Großmutter Mina wurde weit und breit verehrt. Nach ihrem Tod wurden drei ihrer Enkelinnen, darunter ich, und eine Nichte nach ihr Wilhelmine benannt. Da sie oft zur Kur war - in Karlsbad, Meran und so weiter - wurde ihre Tochter Olga schon als Schulkind zu Onkel David und Tante Jetti nach Horazdowitz geschickt, und mein Vater kam mit zehn Jahren nach Prag ins Altstädter Gymnasium und wohnte bei Onkel Friedl, wo sein Bruder Leo schon als Volksschüler gelebt hatte. Vier Jahre später besuchte mein Vater die landwirtschaftliche Mittelschule in Kaaden und maturierte dort. Kaaden ist die Stadt, die in den zwanziger Jahren wegen tödlicher Konflikte zwischen deutschen Nationalisten und tschechoslowakischer Polizei einen traurigen Ruhm erlangte.
Mein Vater heiratete als erster der vier Söhne der »Kompanie«. Er »paschte«, das heißt schmuggelte meine Mutter in der chaotischen Nachkriegszeit einfach über die Grenze. Etwa ein Jahr später heiratete sein Cousin Hugo Popper Martha, die Schwester meiner Mutter. Fast zur gleichen Zeit ehelichte Onkel Leo Ida Eckstein aus Blisowa, einem Nachbardorf. Als letzter heiratete Onkel Alois Hedda Eckstein, die Schwester von Tante Ida. Das ergab wieder ganz symmetrische Verhältnisse: Jedes der vier Ehepaare war für einen Hof verantwortlich, aber alles gehörte allen gemeinsam. Im Ganzen funktionierte es gut, auch wenn mein Vater die wichtigen Entscheidungen traf und es auf nicht sehr ausgeprägte Weise zwei Parteien gab - die der Ornsteintöchter und die der Ecksteintöchter. Wir gehörten aber alle zusammen.
Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S 11 f – Wilma Iggers