In den zweieinviertel Jahren, die wir in Europa verbracht hatten, hatte sich viel ereignet. Trotz heftigen Widerstands beugte sich die Schulbehörde den Anordnungen des Bundesgerichts und erlaubte einer winzigen Anzahl von farbigen Kindern den Zugang zu den ehemals ausschließlich weißen Schulen. Die Benjamin Franklin High School (Oberschule) für begabte Schüler hatte ihre Tore geöffnet. Ungefähr dreihundert Schwarze waren in der Dependance der ehemals ausschließlich weißen Louisiana State University in New Orleans eingeschrieben. Gleichzeitig eröffnete der Bundesstaat aber auch eine Dependance der Southern University, der staatlichen Universität für Schwarze, um zu verhindern, dass sich zu viele Schwarze an der weißen Universität einschrieben. An den katholischen Schulen war die Rassentrennung ebenfalls aufgehoben worden. Die Tulane University nahm 1963 vereinzelt schwarze Studenten auf. Die Rassentrennung in den öffentlichen Verkehrsmitteln war schon 1958 von den Bundesgerichten aufgehoben worden. Im nichtstaatlichen Bereich: etwa in Gaststätten, Hotels, Kinos, Krankenhäusern, Schwimmbädern, war die Rassentrennung weiter durch bundesstaatliche Gesetze vorgeschrieben, was Wilma und mich aber nicht daran hinderte, »Dooky Chase« zu frequentieren, die Gaststätte, wo sich die Frontiers of America trafen.
Während der Kampf gegen die Rassentrennung, wie ihn die NAACP führte, in den fünfziger Jahren noch fast ausschließlich vor den Gerichten ausgetragen wurde, hatte um 1960 eine neue Phase des zivilen Widerstands begonnen. Junge Schwarze und Weiße setzten sich gemeinsam in die Imbissbars der Drugstores und wurden prompt verhaftet. Viele junge Leute, immer Schwarze und Weiße zusammen, hatten den Mut, in Autobussen gemeinsam durch den Süden zu fahren, wo sie von der Polizei oft brutal misshandelt wurden. Die Stimmung in der schwarzen Bevölkerung hatte sich weitgehend verändert. Für viele, besonders für Studenten, war die Taktik der NAACP, direkte Konfrontationen vermeiden zu wollen, überholt. Ein radikaler Flügel entstand mit zwei neuen Organisationen: SNCC (Students Nonviolent Coordinating Committee - Snick ausgesprochen) und CORE (Committee on Racial Equality), an denen Weiße anfangs noch beteiligt waren, von denen sie aber schon 1962 weitgehend ausgeschlossen wurden. Hinzu kam die Southern Christian Leadership Conference von Martin Luther King, die bemüht war, Brücken zwischen Schwarzen und Weißen zu schlagen und die Rassendiskriminierung durch zivilen Ungehorsam zu überwinden.
Für die NAACP untersuchte ich auf Basis der Statistiken der Schulbehörde die Verhältnisse in den Schulen von New Orleans. Die Ungleichheiten waren erschreckend. Wie schon in Little Rock 1952 waren die schwarzen Schulen überfüllt, während die weißen reichlich Platz hatten. In den schwarzen Schulen hatten die Kinder nur einen halben Schultag Unterricht, vormittags oder nachmittags, während weiße Kinder ganztägig unterrichtet wurden. Außerdem gab es in den schwarzen Schulen zu wenig Lehrer. Ein heikles Thema war die Beförderung der Kinder mit Schulbussen. Nach der juristischen Aufhebung der Rassentrennung wurde der Einsatz von Schulbussen von den Befürwortern der Rassentrennung vehement bekämpft. Dabei hatte es einen Schülertransport mit Bussen in größerem Umfang schon vor der Aufhebung der Rassentrennung gegeben, allerdings keineswegs zu dem Zweck, schwarze Schüler in die Schulen der Weißen zu transportieren.
Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 161 f