Interview mit Prof. Dr. Jürgen Kocka, Darmstadt 2006
„Ja, ich bin Historiker, Jahrgang 41, vor allem Sozialgeschichte der modernen Zeit. Mittlerweile habe ich viele andere Aufgaben wahrgenommen, zuletzt die Präsidentschaft des Zentrums des WZB, des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, und ich habe Georg Iggers im Jahr 1971 kennen gelernt, als ich noch wissenschaftlicher Assistent war, und er bereits berühmt. Und ich habe ihn in diesem Jahr eingeladen zu einem Vortrag in Münster im Schloß. Und seit dieser Zeit haben wir, die beiden Iggers und meine Frau und ich sehr häufig getroffen.
Herr Professor Kocka, könnten Sie nochmal was zu der Person, zu der wissenschaftlichen Bedeutung von Georg Iggers als Historiker sagen ?
Also, vielleicht drei ganz kurze Punkte: Georg Iggers verkörpert eine seltene Einheit von Person, Historiker und politischem Wesen. Er ist geprägt durch seine Geschichte als Jude, Emigrant, erst als Deutscher, dann als Amerikaner, jetzt beides, und er verbindet diese Fähigkeit, seine eigene Erfahrung zu verarbeiten mit einem besonderen kritischen und zugleich optimistischen Blick auf die Menschheitsgeschichte.
Zum anderen, er ist ein bedeutender Historiker der Geschichtsschreibung, und hat sehr wirkungsvolle Schriften produziert über unsere Tradition als Historiker, und hat dadurch kräftig Einfluss genommen auf unser Selbstverständnis als Historiker, und drittens, er ist durch seine Biografie und durch seine Neigung ein internationaler Intellektueller geworden. Er hat immer vermittelt zwischen US-nordamerikanischer Geschichte und Intellektualität einerseits und europäischer.
Aber er hat auch außerhalb des Westens viele, viele Arbeitskontakte und ist mittlerweile auf dem Weg, sich mit der Geschichte des historischen Bewußtseins, des historischen Denkens in globalem Maßstab zu beschäftigen. Er ist ein Kritiker, und ein Vermittler zugleich. Er begann als Kritiker, Kritiker der deutschen Tradition des Denkens über Geschichte. Er wurde mehr und mehr zum Vermittler. er hat aber nie aufgehört, ein Kritiker zu sein.“