Interview mit Prof. Dr. Helmut Böhme, langjähriger Präsident der TU Darmstadt, Darmstadt 2006
„Wenn ich an Georg Iggers denke, dann muss ich als erstes sagen, es ist nicht so sehr der Wissenschaftler, sondern eine Bewunderung für einen Mann, der Wissenschaft und politisches Engagment nie geteilt hat.
Ich denke also wirklich an George Iggers, wenn ich an Georg Iggers denke, an Little Rock, an Arkansas, an die Bürgerrechte, an den gerechteren Staat und das persönliche Engagement. Ich denke vor allem, dass er mich mitgenommen hat in die unterschiedlichen Gremien der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, dem Kongress, dem er heute noch angehört, an die Sensibilität, die er als Jude und Vertriebener nun umsetzte.
Das zweite, woran ich denke, ist dass er bei seinem Lebensschicksal dieses außerordentliche Maß des Verstehen-Wollens und Verstehen-Suchens hat, und zwar so, dass man immer wieder überrascht ist. Also ich persönlich, ich stanze, wenn man so will, zuerst mal so Thesen und suche dann Begründungen. Er ist eher der Moderator des Gesprächs, er scheint nachzugeben, zuzuhören und plötzlich spürt man, aha, von hinten kommt ganz glasklar und ganz scharf eine ganz wohlbegründete und überzeugte, durch viel Wissen und durch den Vergleich begründete Position, die nichts, aber auch gar nichts von dem aufgibt, was ihn in seinem Leben umtreibt, von dem aus er überhaupt in der Lage ist, eigentlich Brückenbauer zu sein.
Das dritte, an das ich denke, ist die Offenheit, und das menschliche Engagement für andere. Wer einmal in die Fänge von Herrn Iggers gerät, der kommt nicht mehr raus, und zwar im guten Sinne. Er wird geführt, es wird nachgefragt, es ist ein großes Interesse da, und gerade eben sagte mir Wilma Iggers, es ist nicht nur von uns, sondern wir haben viel profitiert von den Darmstädtern, aber auch von den anderen.
Oder schließlich, wo er dann selbst spürte, und mir sagte, also Böhme, deine Zeit ist hier noch nicht da. Diese Platzhirsche, die werden dir noch deutlich sagen, dass du keine Chance hast. Ja, aber ich war ganz von den Socken, als ich plötzlich dann einen Anruf bekomme aus Buffalo, und aus Chicago, wo da jemand für mich, den ich, ja wenn man so will 5 Telefongespräche, 2 Nachmittage, und plötzlich ist er da. Das hält natürlich nun 40 Jahre, ein Leben lang.
Und das fünfte, ich bewundere seine Art, sich zu konzentrieren. Er gerät nicht in die Versuchung, nun plötzlich in die Schlammschlacht der Detaildeuter hinein zu gehen, sondern er bleibt eigentlich an seinem Thema. Und dieses Thema ist die Kritik, wenn man so will, eigentlich der Kritik. Das Nachdenken über die Voraussetzungen, über die Verführungen von nicht weiter nachgesuchten Meinungsbildungen.
Er ist für mich jemand, und das hat er ja auch selber heute nachmittag auch deutlich gesagt, der selber aufarbeitet den deutschen Idealismus und die Hoffnung, die insbesondere auch die jüdische Wissenschaft damit verbunden hat. Insofern, wenn ich an ihn denke, denke ich an als einen, der nicht die Fronten verschärft, sondern versucht, durch die Fronten zu gehen, ohne die Fronten aufzuheben. In dem Moment, wenn wir zum Beispiel die unterschiedlichen multikulturellen oder multiethnischen, wie das alles so schlagwortartig heißt, in einen Eintopf rein rühren, dann nützt es gar nichts.
Wir brauchen klare Fronten, und die Basis heißt Aufklärung, die Basis heißt Information und Wissen, und die Förderung von individuellen Leistungen. Und nicht mit so verbogenen Worten wie Leitkultur und anderem Schwachsinn. Und da steht er für mich, als Letztes, wegen Brücken Bauen.
Seine Frau Wilma, die lebte in Kanada, und er, so sportlich ist er ja nicht, er in Amerika, aber über die Brücke kam er nicht, er mußte unten über die Eisschollen, und da hat ihn natürlich der Zoll und die Polizei sofort erwischt. Aber die Art und Weise, wie er es dann fertig brachte, die Brücke doch nach Kanada zu bauen, und beide in Chicago dann ihr Studium realisierten, ja, das ist für mich Iggers.“