Am Tag, nachdem ihr Vater wieder weggefahren war, gestand ich Wilma meine Liebe, und sie versicherte mir, dass es auf Gegenseitigkeit beruhe. Wilma war kurz zuvor aus dem Wohnheim aus- und in ein kleines, sehr bescheidenes Zimmer eingezogen. Das Zimmer war mit neun Orangenkisten und nur wenig anderem möbliert. Wir verbrachten jetzt fast unsere ganze freie Zeit zusammen, aßen jeden Abend in ihrem Zimmer und büffelten, ich für meine Prüfung, während sie sich auf ihre Dissertation vorbereitete, bis ich dann spät in der Nacht in mein Studentenheim zurückwanderte. Sehr bald wussten wir, dass wir heiraten wollten. Während der Weihnachtsferien fuhren wir nach New York zu Wilmas Schwester und Schwager und dann nach Richmond zu meinen Eltern und meiner Schwester. Auf dem Weg nach New York, am 21.12.1947, beschlossen wir, am 21.12. des nächsten Jahres zu heiraten. Meine Eltern und meine Schwester, die noch nichts von unseren Plänen wussten, mochten Wilma sofort. Mein Vater, der typisch deutsche Vorurteile gegenüber osteuropäischen Juden hatte und daher auch meine Freundin Nancy Lubasch nicht gemocht hatte, sagte erleichtert: »Böhmen ist ja fast schon Deutschland.« Gleich nach unserer Rückkehr nach Chicago traf Wilmas Mutter ein, um unsere Heirat zu verhindern. Sie hatte sich etwas anderes für ihre Tochter vorgestellt; nicht einen knapp einundzwanzigjährigen Burschen, der noch nicht ausstudiert und keine feste Stelle in Aussicht hatte. Sie drückte es so aus: »Er ist nix, er hat nix und er schaut nach nix aus.« Am Ende ihres einwöchigen Aufenthaltes bei Wilma, am Freitagabend nach dem Kiddusch-Gottesdienst und dem Essen in Wilmas Wohnung, hatten ich und Wilmas Mutter eine mehrstündige Unterredung. Ihr wurde bald klar, dass wir fest entschlossen waren zu heiraten, und so änderte sie schließlich ihre Einstellung mir gegenüber. Von dieser Zeit an verstanden wir uns gut. Im Sommer fuhr ich für eine Woche nach Kanada und lernte Wilmas weitläufige Familie kennen.
Am 23.12.1948 heirateten wir in Hamilton. Zu der Hochzeit, die in einem Hotel stattfand, war nur der engste Verwandtenkreis eingeladen, darunter auch meine Eltern und meine Schwester. Getraut wurden wir von dem damaligen Hamiltoner Reformrabbiner Luitpold Wallach, einem deutschen Immigranten, der eigentlich Mediävist und nur widerwillig Rabbiner war. Er gab später das Rabbinat auf und machte Karriere als Historiker an den Universitäten Cornell und Illinois.
Quelle: Zwei Seiten der Geschichte, S. 94 f – Georg Iggers